Kapitel 2

von shs

Eine Spätsommernacht im August 2013

Leute, wisst ihr an was ich dachte als mir an einem verregneten, kalten Donnerstag im November meine schwarze, also die linke Hinterpfote plötzlich entsetzlich weh tat? Ich will ja nicht jammern aber diese Schmerzen taten echt tierisch weh. Und ich kenne mich als erfahrener Kater damit aus. Nein das war nicht das Übliche zwicken, kneifen und beißen was man sich öfters, wie in jungen Jahren, eingehandelt hat. Schmerz-bedingt und wahrscheinlich im Schockzustand dachte ich an diese Geschichten von grünen Wiesen, bunten Blumen an herrlichen Sommertagen von denen mir mein Frauchen allzu oft vorgeschwärmt hatte. Doch mir wurde langsam schwindelig…

…und wie sich das alles drehte, oder war ich das? Saß ich schon oder hat es mich bereits wider Willen umgehauen? Wollte ich nicht eigentlich meinen wohlverdienten Mittagsschlaf halten? Nun ja, wisst ihr was ich dachte als mit dann schwarz vor Augen wurde?

„Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum“

Aber eins nach dem anderen, ich möchte euch eigentlich eine andere Geschichte erzählen. Ich selbst liebe ja den Spätsommer, die Erde ist schön warm und unter den Stauden und Pflanzen finde ich stets ein passendes Plätzchen für ein kurzes Nickerchen. Seit 2004 lebe ich jetzt in einer sogenannten Kleinstadt in Brandenburg. Mein Frauchen hat sich da in einem Häuschen mitten in der Stadt ein-gemietet. Also etwas mehr Mauern, hinter denen man deutlich die Stimmen der Nachbarn hören kann, und natürlich auch mehr Lärm als es mir lieb gewesen wäre. Immerhin es gibt einen kleinen Hof was leider auch bedeutet dass wir nicht einen Baum haben. Was der Grund für meine vernachlässigten Dehn, Streck, und Kratz-Übungen am Morgen sein dürfte, hmm.  Blumen auf kleinen Rabatten und in Kübeln gab es jedenfalls in Hülle und Fülle. In der Tat wurde jede kleine Schale, Vase, Topf und was noch so aufzutreiben war durch mein Frauchen bepflanzt. Wo sie nur immer diese endlose Anzahl an Gefäßen her hat?

Obwohl es nach der Arbeit also immer viel zu tun gab, damit alles so herrlich blüht, konnte ich abends den Gesprächen meiner Herrschaften lauschen. In lauen Sommernächten bei Kerzenschein im Carport eine tolle Sache. 4 Jahre sind so vergangen und so nähert sich mehr und mehr das Ende der Berufstätigkeit meines Frauchens. Wenn ich mich nicht verzählt habe sind wohl 42 Arbeitsjahre zusammen gekommen. Es wurde also Zeit in Rente zu gehen. Zu ihrer Erholung fahren meine zwei „Alten“ oft in ein 50 km entferntes Spreewalddorf, um dort in einer Therme oder bei Fahrradtouren zu entspannen. Toll, ich halte ja hier die Stellung. Aber sie kommen ja gut gelaunt und ausgeruht von dort zurück. Ihre Gedankten werden ebenso lauter und die Gespräche häufen sich um einen Umzug an diesen ominösen Ort.


Ich werde wach und sehe verschwommene Bilder… ich bin in der Küche, da bin ich mir sicher. Auf einem kleinen Zettel aus dem Jahr 1995, der an der Pinnwand klebt, erkenne ich diesen Schriftzug: Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum. Eine nette Nachbarin, ebenfalls Krankenschwester, war auch da und ich wurde hektisch untersucht. An den Gelenken konnten beide nichts Ernstes feststellen. Irgendwie „musste“ ich – obwohl ich nicht wollte – wie peinlich, das war mir ja überhaupt niemals passiert. Mal mit dem Kopf wackeln – puh – mein Frauchen hat es bemerkt. Am Telefon hörte ich sie etwas von Tierarzt sagen …

… wieder schwarz vor Augen.

Ich erinnere mich dass meine Liebste sich auf den Ruhestand freut und sich ein Leben in Burg im Spreewald wünscht. Viele schwere Schicksalsjahre mussten sie und ihre Kinder durchleben. Arbeit und Haushalt haben immer viel gefordert und gestresst. Sie war es die mir von diesem Traum erzählte. Wunderschöne grüne Wiesen mit Blumen, ein kleines Häuschen mit nicht zu großem Garten, dazwischen die Fließe, befahren durch Kähne und eine ruhige, unberührte, ursprüngliche Natur. Diese Hoffnung auf die Veränderung in ihrem Leben ließ oft Vieles leichter erscheinen. Es gab ein Ziel, es gab Kraft durchzuhalten und nicht zu verzagen.

Auch ich musste den Verlust eines Freundes überwinden. Timi, der Hund meines Herrchens hatte es nicht geschafft. Hund und Katz, beide schon einige Jahre auf dem Buckel, mussten das Zusammenleben erst einmal bewältigen. Immerhin ich als der „Große“ hatte meinen Kumpanen schnell erklärt wer der Herr im Hause war.
Nichts desto trotz, wir waren uns einig, wir hatten eine schöne Zeit auf dem Hof. Wenn wir allerdings Mist gebaut hatten, holte Herrchen den Teppichklopfer hervor und es knallte mächtig im Karton. Alles kein Problem – schnell über die Treppe zum Obergeschoss und es bot sich reichlich Schutz. Mit dem Überblick von oben war die Luft schnell wieder rein. Jedenfalls erkrankte Timi an einem fiesen Tumor. Eine Operation, vermutlich an der Wirbelsäule, war nicht mehr möglich. Unsere Herrchen stellten sich also darauf ein, ihm das verbleibende Leben so schmerz frei wie möglich zu gestalten.

Ich war wieder einmal allein als Haustier auf dem Hof. Und gerade wenn meine Besitzer wegfahren, ist es doch recht einsam. Es bleibt dann nur Ohren spitzen um zu hören ob das Auto wieder vor fährt.
Monate vergingen und unzählige Inserate in Zeitung und Internet wurden durchforstet um eine geeignete Wohnung zu finden. Offenbar eine schwierige Angelegenheit. Für mich verlief der Alltag in ruhigen Bahnen. Tagsüber liege ich in den Rabatten mit den blühenden Dahlien und Stockrosen. Abends kuschele ich mich bei Zeiten mit Frauchen ein, denn seit Jahren klingelt der Wecker um 4:30 Uhr. Die Arbeit muss ja pünktlich angetreten werden.

Wir schreiben das Jahr 2008 und der Monat November sollte ein denkwürdiger werden. Es ist Sonntag und aufgeregt findet meine Ungeduldige eine Annonce über eine Wohnungsanzeige in dem Ort im Spreewald, welcher all ihre Wünsche erfüllen sollte.

Neubau eines Zweifamilienhauses
Fertigstellung im März 2009
Interessenten bitte melden

Es ist Montag und meine kurzentschlossenen Herrschaften waren zeitig verschwunden. Da es in Strömen regnete und ich mein zu Hause liebe gönne ich mir meinen Schönheitsschlaf.
Lasst mich kurz berichteten was die Beiden bei der Besichtigung zu sehen bekamen. Ein in im Rohbau befindliches Haus mit großem Garten – in Wahrheit ein ehemaliger Hühnerhof – jede Menge gestapeltes Holz, das ganze gelegen in Burg-Dorf – also ideal fürs Herrchen. Kurze Wege zum Einkaufen, zum Arzt und Augenoptiker. Habe ich erwähnt dass es inzwischen die ca. sechste Besichtigung einer Wohnung war. Meine Belange mussten ja auch berücksichtigt werden. Immer auf die kleinen, es ist unfair.
Dieser verregnete Montag sollte aber eine entscheidende Wende für uns drei einläuten. Meine Herrschaften entdeckten das gut gelegene, wen auch etwas versteckte Zweifamilienhaus, die Maurer, gleichzeitig die Besitzer, fleißig am Werkeln konnten ihnen die untere Etage vorstellen. Eine behindertengerechte Wohnung von ca. 93 m² Größe mit großer Wohnküche, Schlafzimmer, Gäste und Wohnzimmer sowie großem Bad. Für mein Frauchen war die große Balkontür mit Austritt zum Garten ein wichtiger Pluspunkt. Für Herrchen die Anlage des Schornsteins und somit die Möglichkeit für einen Kamin im Wohnzimmer. An seinem Blick konnte ich erkennen: Er sah sich schon mit der Axt im Walde stehen und Holz schlagen. Unverzüglich fällten die beiden die Entscheidung umzuziehen.

Schon wieder Umzug!

Aber es gab auch die mündliche Zusage des Vermieters, also gesagt, getan. Und selbst mein Herrchen, mit 67 Jahren auch nicht mehr der Jüngste, willigte in die Veränderung ein. Voller Begeisterung drehte sich alles nur noch um den bevorstehenden Umzug. Das Herz meines Frauchens machte täglich größere Sprünge und der gewisse Zettel an der Pinnwand wurde ganz nach oben geklemmt. Ich möchte jetzt aber nicht weiter ausholen und kann von dem Umzug ja später mehr berichten.

Ich versuche meine Augen zu öffnen: Ich bin im Auto auf der kuschelweichen Babydecke, und wir fahren hastig zum Tierarzt. Endlich eine fundierte und gründliche Untersuchung. Nur die Diagnose wollte glaube ich niemand so gern hören

Schlaganfall!

Ich bekam eine Infusion, eine Spritze zur Druckentlastung im Kopf und blutdrucksenkende Mittel. Und hey, ein weiterer Patient wurde gerade vorstellig. Für alle etwas ungewöhnlich: ein Herrchen mit einem kleinen Wildschwein brauchte ärztliche Hilfe! Dem Typen fiel das Fressen schwer – Weichei. Jedenfalls gab es ein lustiges Bild ab, ich auf dem OP-Tisch mit Infusion am Hinterkopf, das Wildschwein mit einem Stroh-bedeckten Herrchen im Arm auf dem Stuhl daneben.
Nach Bezahlung der Arztkosten (man könnte meinen, ich sei Privatpatient) wurden wir entlassen und bekamen noch Tabletten für zu Hause. Ich beschloss mich zu schonen und genoss das Verwöhnprogramm meiner Herrchen. Ein paar Tage später und ich war wieder fast der alte „Alte“. Jedenfalls blieb mir eine Geriatrie für Katzen und eine Reha erspart, das erledigte mein Frauchen alles zu Hause. Ziel war wohl auf jeden Fall das alle zu Hause waren und ich sofort, wenn nötig, ärztliche Hilfe bekam. Danke an mein Frauchen, auch für die Extrarationen Rindergulasch und filetierten Fisch während der Genesungsphase. In diesem Sinne

Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum.

Eure Osola